Energie- & Rechenzentrums-Report Stand: Analyse, keine Unternehmensquelle

Schwarz Digits Rechenzentrum in Lübbenau: Wie realistisch ist der „grüne“ 200-MW-AI-Campus?

Sehr spannende Aussagen – technisch klingend, politisch aufgeladen und mit großen Versprechen. Dieser Report analysiert das Projekt nüchtern aus Sicht von Energiebedarf, Photovoltaik-Realität, Netzinfrastruktur und Abwärmenutzung – und trennt klar zwischen umsetzbar, teilweise korrekt und Marketing-Überhöhung.

1. Einordnung des Projekts

Projektüberblick & Beteiligte

Schwarz Digits ist die Digitaltochter der Schwarz Gruppe (u. a. Lidl, Kaufland). Geplant ist ein großes AI-Rechenzentrum in Lübbenau, Brandenburg.

  • Investition: 11 Mrd. €
  • IT-Leistung: ca. 100.000 GPUs
  • Elektrische Anschlussleistung: 200 MW
  • Zeithorizont: Inbetriebnahme bis Ende 2027

Einordnung der Größenordnung

Ein Rechenzentrum mit 200 MW Anschlussleistung bewegt sich in Europa in der absoluten Spitzenklasse. Energetisch entspricht das in etwa einem eigenständigen Großkraftwerksblock.

Relevanz: Dieses Projekt ist kein normales Datacenter, sondern ein energiepolitischer Player.

2. Energiebedarf – was bedeuten 200 MW?

Dauerleistung 24/7

Szenario: Das Rechenzentrum läuft mit 200 MW durchgehend 24/7.

Jahresenergiebedarf
200 MW × 8.760 h/Jahr = 1.752.000 MWh/Jahr
≈ 1,75 TWh/Jahr

Einordnung der Größenordnung

  • • Entspricht dem Stromverbrauch von ca. 450.000–500.000 Haushalten.
  • • Oder etwa ≈ 2 % des gesamten Stromverbrauchs Brandenburgs.
Fazit: Energetisch handelt es sich um ein eigenes kleines Kraftwerk – nur eben in Form eines Rechenzentrums.

3. Photovoltaik – reicht das wirklich?

3.1 PV-Realität in Brandenburg

Typische Werte für Photovoltaik in Brandenburg:

  • Spezifischer Ertrag: ca. 950–1.050 kWh/kWp/Jahr
  • Nacht: 0 Ertrag
  • Winter: nur ca. 5–10 % der Sommerleistung
  • Stark schwankend durch Wetter, Jahreszeiten, Bewölkung

3.2 Erforderliche PV-Leistung

Um die jährlichen 1,75 TWh nur mit PV zu erzeugen:

Nennleistung PV
1.750.000.000 kWh ÷ 1.000 kWh/kWp ≈ 1.750.000 kWp
⇒ ca. 1,75 GWp installierte PV-Leistung

Flächenbedarf:

  • • 1 MWp PV ≈ 1–1,5 ha Fläche
  • • → 1.750–2.600 Hektar
  • • → 17–26 km² PV-Fläche
Einordnung: Das wäre eine der größten zusammenhängenden PV-Flächen Europas – nur für dieses eine Rechenzentrum.

3.3 Speicherproblem – das KO-Kriterium

Selbst mit dieser gigantischen PV-Leistung bleibt die Frage: Wie überbrückt man Nacht, Winter, Schneelast und Dunkelflauten?

  • Nachts: 200 MW × 12 h = 2.400 MWh Speicherbedarf pro Nacht
  • 3 Tage Dunkelflaute: 3 × 2.400 MWh = 7.200 MWh Speicher

Zum Vergleich:

  • • Größte Batteriespeicher in Deutschland heute: ca. 300–400 MWh Kapazität
Konsequenz: Man bräuchte etwa 20–25 der größten Batteriespeicheranlagen Deutschlands, nur um drei Tage Dunkelflaute zu überbrücken. Allein diese Speicher würden sich im Bereich von 2–4 Mrd. € bewegen.
Fazit PV-Alleinbetrieb: Rein mit Photovoltaik ist der 24/7-Betrieb eines 200-MW-Rechenzentrums in Deutschland physikalisch und wirtschaftlich NICHT realistisch.

Realistisch ist: PV als ergänzende Quelle, plus bilanzieller Ökostrom via PPA – aber nicht als alleinige Versorgungsbasis.

4. „Vollständiger Betrieb mit grüner Energie“

Energie­rechtlich korrekt, technisch irreführend

Die Aussage klingt nach: „Alles läuft direkt mit eigener PV.“ In der Realität bedeutet sie meist: bilanziell grün, nicht physikalisch.

Typischerweise heißt das:

  • • Es wird über PPAs so viel erneuerbare Energie eingekauft, wie das Rechenzentrum im Jahr verbraucht.
  • • Auf dem Papier ist der Stromverbrauch damit „100 % grün“.

Physikalische Realität im Kabel

Der tatsächliche Strommix sieht so aus:

  • nachts: Mix aus Kohle, Gas, Importstrom
  • im Winter: überwiegend fossile Erzeugung + Importe

Dieses Prinzip nutzen bereits u. a. Google, Microsoft und Amazon.

Kernpunkt: Viele Rechenzentrumsbetreiber sind bilanziell zu 100 % grün, aber physikalisch nicht. Die Marketingaussage verschleiert diesen Unterschied.

5. USA vs. Deutschland – AKWs & SMRs

Lage in den USA

  • • Planung und Bau von SMR-Reaktoren (Small Modular Reactors).
  • • Direkte Langzeitversorgung von Hyperscale-Rechenzentren mit grundlastfähigem Strom.
  • • Kein Speicherproblem: Grundlast zu jeder Tages- und Jahreszeit.

Situation in Deutschland

  • Kernenergie politisch ausgeschlossen.
  • • Versorgung basiert auf:
    • - Netzbezug
    • - Wind & Photovoltaik
    • - Gas-Reservekraftwerken für Engpässe
Konsequenz: Das deutsche Modell ist netzabhängig, wetterabhängig und speicherabhängig – und damit strukturell instabiler für Hyperscale-AI-Zentren als Lösungen mit eigener, grundlastfähiger Kraftwerksanbindung.

6. Abwärme – 75.000 Haushalte?

Abwärmepotenzial

  • • 200 MW elektrische Leistung → ca. 180 MW Abwärme.
  • • Abwärme fällt dauerhaft an – 24/7, unabhängig vom Wetter.
  • • Potenzial für 60.000–90.000 Haushalte (abhängig von Dämmstandard & Systemeffizienz).

Praktische Hürden

  • • Aufbau eines Fernwärmenetzes (Leitungen, Isolation, Übergabestationen).
  • Vorlauftemperaturen ≫ ggf. zusätzliche Wärmepumpen nötig.
  • Saisonale Diskrepanz:
    • - Sommer: Abwärmeüberschuss, wenig Heizbedarf.
    • - Winter: hoher Bedarf, aber häufig noch Zusatzheizung nötig.
Fazit: Technisch machbar und volkswirtschaftlich sinnvoll – aber nur mit Milliardeninvestitionen in Infrastruktur. Es passiert nicht „automatisch“, nur weil Abwärme vorhanden ist.

7. Kreislaufwirtschaft beim Bau

Sinnvoll – aber beim CO₂ nur Nebenschauplatz

Beworben wird eine „Kreislaufwirtschaft“ beim Bau, z. B.:

  • • Recycling von Beton
  • • Wiederverwertung von Steinen und Schotter
  • • Reduzierung von Bauabfällen

Das ist ökologisch sinnvoll und bei großen Bauprojekten zunehmend Standard. Für den laufenden CO₂-Fußabdruck gilt aber:

Kernpunkt: Die Kreislaufwirtschaft im Bau reduziert Baustellen-Emissionen, hat aber auf den laufenden Betrieb nur begrenzten Einfluss. Der große Hebel bleibt der Strommix.

8. Internationaler Vergleich – USA & China

Realität in den USA

  • • Rechenzentren mit > 500 MW Leistung existieren bereits.
  • • Direkte Langfristverträge mit Windparks und Atomkraftwerken.
  • • Teilweise netzunabhängigere Lösungen mit eigener Erzeugung.

China & Deutschland im Vergleich

  • • In China: Hyperscale-Zentren, angebunden an Wasserkraftwerke und staatlich priorisierte Stromtrassen.
  • • In Deutschland:
    • - Kein Grundlast-Backup ohne Gas und Importstrom
    • - Hohe Volatilität durch Wind und PV
    • - Engpassnetz & teure Redispatch-Maßnahmen
    • - Im internationalen Vergleich hohe Strompreise
Fazit: Deutschland ist ökologisch ambitionierter, aber energetisch verletzlicher. Die Behauptung, man sei anderen Großmächten in der Praxis voraus, ist eher Marketing als harte technische Realität.

9. Gesamtbewertung

Bewertung der Kern­aussagen

Aussage Realität
200 MW / 100.000 GPUs ✅ realistisch
11 Mrd. € Investition ✅ plausibel
Vollständiger Betrieb mit eigener PV ❌ physikalisch unrealistisch
75.000 Haushalte mit Abwärme ✅ technisch möglich, aber teuer
Deutsches Modell energetisch „besser“ als USA ❌ so nicht haltbar
Grüner 24/7-Betrieb ohne AKW ❌ nur bilanziell, nicht physikalisch

Endfazit (klar & ungeschönt)

Das Projekt der Schwarz Digits ist real, riesig und technisch beeindruckend – aber die Darstellung eines vollständigen, eigenständigen PV-Betriebs ist energetisch betrachtet Wunschträumerei.

Realistisch ist:

  • Netzbetrieb mit hoher Anschlussleistung
  • Bilanzieller Ökostrom über PPAs
  • PV & Wind als Ergänzung zur Netzversorgung
  • Gas- & Importstrom als reale Lastträger bei Flauten und im Winter

Die Abwärmenutzung ist der einzige wirklich substanziell innovative ökologische Hebel des Konzepts – alles andere hängt maßgeblich von einem stabilen und ausreichend dimensionierten Stromnetz ab.

Hinweis: Dieser Report basiert auf technischen Abschätzungen und typischen Kennzahlen (PV-Erträge, Speichergrößen, Energieverbräuche). Er soll vor allem Größenordnungen und physikalische Realitäten transparent machen.